Sonntag, 26. Oktober 2025

GIFT UND GALLE.



"Die saufen, bis es denen aus den Ohren wieder raus schwappt!" Ein gut gealterter Herr läuft eingehängt mit seiner Gattin über die glänzenden Fußwege der bereits abgedunkelten Stadt. Missbilligend fällt sein Blick auf zwei unrasierte Trinker an einem schlecht ausgeleuchteten Eck-Imbiss. Es gefällt ihm nicht, wenn sich die Menschen gehen lassen ... saufen, pöbeln, keinerlei Arbeit verrichten, auf den Bänken lungern, nicht grüßen, den Gehsteig zuparken, Hunde nicht an der Leine führen, die Schaltkästen besprühen, Vorgärten verrotten lassen, die Treppe nicht kehren oder wenn jugendliche Werbemittel-Austräger partout keine Wochenangebote der Discounter in die Treppenhäuser auslegen. Dann zweifelt der hagere, alternde Mann mit der gesellschaftlichen Moral und schimpft so lange, bis ihm der Magen seinen Dienst versagt und grünlich-bittere Galle durch die Speiseröhre empor steigt. Seiner vergesslich gewordenen Frau ist dies einerlei, sie geht diesen Weg mit ihm bis zum Schluss - soweit die Füße sie tragen und solange er sie noch in seinem drahtigen Arm einhenkelt.

Morgen ist der Termin bei der Fußpflege, später die bläuliche Tönung beim Friseur. Brot beim Bäcker ist natürlich bestellt und der Schwatz mit der Briefträgerin längst ein lieb gewonnenes Ritual geworden. Viel passiert in diesem Leben wohl nicht mehr - zumal sich die Zeiten radikal geändert haben. Die übergewichtige, demente Frau neben ihm hat er einmal sehr geliebt ... mit Haut und Haaren. Urlaube auf Usedom, eine Schiffsreise nach Kuba, das erste gemeinsame Auto, ein kleiner Lottogewinn in den Siebzigern, Jubiläen, Betriebsausflüge, runde Geburtstage, Skat-Abende, die politische Wende ... alles mögliche geht ihm durch den Kopf.
Die Zeiten sind wohl vorbei. Das Spiel ist aus. Nichts geht mehr ... auch kein Freiwurf. Lichter in den Fenstern erzeugen keinerlei Gefühl - auch die süßen Kleinen in den modern gestalteten Buggys lassen ihn völlig kalt. Alles was er sieht, ist so seltsam böse mit ihm. Wütend erspäht er die völlig überfüllten Altglas-Container, abschätzig trifft sein harter Blick eine wirklich schöne Frau mit Kopftuch. Deutschland ist ein einziger Haufen stinkenden Drecks geworden, chaotisch regiert, hoch verschuldet und in diesem Leben niemals mehr zu retten. Er erwartet auch nichts mehr, kein Mitgefühl, keine Hilfsbereitschaft - niemanden der ihn noch wahrnimmt. Fast 80 Jahre alt, verheiratet, kinderlos und dabei immer schwer gearbeitet. Natürlich nie geraucht, nie getrunken, keinerlei Schwof, nichts gegönnt und letzten Endes auch alles allein bewerkstelligt. Sein Herz ist ein riesiger, fester Klumpen ... die Hände schon immer etwas zu kalt und der Gang leicht vornüber gebeugt und abgehackt. Seine Frau geht demütig neben ihm her, fast im Gleichschritt. Ihre Augen sind nass und suchen irgendeinen Halt. Sie wird geführt, gelenkt und bleibt in der ihr vertrauten Bahn. Der Kopf muss nichts mehr für sie tun ... hat sich augenscheinlich völlig ausgeklinkt und bereits vorab aus dem Staube gemacht. Alles scheint dadurch vergeben und vergessen.

Ursprünglich sollte der Text an dieser Stelle enden. Es hat aber plötzlich begonnen heftig zu regnen. Die Lichter der Straße spiegeln sich umgehend in der Nässe des Weges, als der alte Herr unvermittelt zu Fall kommt. Auf den Knien landend, losgerissen aus dem laschen Arm seiner Gattin, den irrsinnigen Schmerz spürend. Aus der gegenüber liegenden Apotheke eilt eine junge Frau auf ihn zu, versucht instinktiv unter seine Arme zu greifen und fragt in einem fort ob es so gehe. Da reißt und zerrt der reife Mann an seinem geschlossenen Schirm und haut umständlich auf die Helfende ein. Immer wieder, ohne Kraft und Energie- aber auch ohne Unterlass. Nichts ist verziehen und die Wirklichkeit ein einziger Fausthieb.

Freitag, 24. Oktober 2025

DOPPELLEBEN.



Im schäbigsten Café der Stadt ... mit dem gerissenen rotem Leder des Neunziger-Jahre-Mobiliars und der angetrockneten Pisse auf vergilbten WC-Brillen ... aufgespritzte Lippen bei einer 40+ Bedienung und den jämmerlich angerichteten Eisbechern aus längst erblindetem Glase ... bräunlicher Stuck gezeichnet von unlängst verbotenem Rauch aus den kräftigsten Zigaretten des Planeten ... da hob Peter ein bis zum Rand gefülltes Glas und schüttete es in sein riesiges Kopf-Loch! Soff und bestellte nach. Bestellte und soff. Soviel er konnte und es quollen ihm die einst kleinen Äugelein zu glasigen handgroßen Perlen. Seine Unterlippe konnte die Flüssigkeit kaum noch führen und so troff es immer wieder feucht auf sein burgunderrotes Hemd. Mit den Hemmungen fiel auch die Würde. Von wegen "unantastbar"! Zeit verging - und Zeit kam - bis sie wieder verschwand. Peter klammerte sich an den Drink wie der der halbtote Kapitän am Mast seines schlingernden Schiffes. Die Sache schien entschieden. Im Portemonnaie stapelten sich mächtige Scheine und boten mit ihrer Anwesenheit keinen Einhalt. Die Botox-Kellnerin legte ihre Hand mit den meterlangen wie feuerroten French-Nails auf seine müden Schultern und flüsterte liebevoll irgendwas wie "Was ist denn los mein Guter" in seine stark behaarte Ohrmuschel. 

"Man müsste das Leben panieren können!" 

Peter selbst schien verblüfft über seine spontane Antwort. Als ich mich zu ihm setzte, begann er darüber zu sinnieren und verfing sich ein ums andere mal zwischen Eitelkeit und Selbstmitleid. Es war ja erst 14 Uhr und wir hatten schon mächtig Verluste gemacht. Um uns herum kreisten Aperole und Schwarzwälder Kirschtörtchen mit Eierlikör. Große Busen wohin das Auge reichte! Man hätte die ganz Stadt melken können! Dümmlich blickten wir uns um und verließen uns auf die Vergangenheit. In der Toilette versuchte ich heulend alles voll zu pissen. Ein asoziale dumme Sau die ich einmal war! Worauf kam es jetzt noch an? Dabei stellte ich mir zwei Blöcke Butter vor. Und gerührtes Ei. Und Paniermehl. Vielleicht würde das wirklich helfen? Das Leben eingepackt in Panade und ab damit ins Siedende? Kirre wie ich einmal war strauchelte mein enthemmtes Wesen wieder direkt zu Peters Tisch. Mit einer langen Gerade versuchte ich seine Front zu erwischen - traf aber ins Leere und umarmte ihn stattdessen. Wir beiden waren selbstverliebt in unseren Kummer und schauten fast schon mit Stolz auf unsere Ausweglosigkeit. Schein auf Schein wirbelte auf und versengte mit all dem Schnaps und ungezählten Bieren unsere kindlichen Herzen.      

Sonntag, 19. Oktober 2025

DER KUSS.



Die erste flüchtige Berührung unserer Lippen war schon unangenehm. Der nachfolgend lange, schnalzende Kuss schmeckte nicht und die mit der Zunge um sich schlagende Frau war auch die Falsche. Ihre schlanken Arme klammerten meinen Rücken direkt im Hohlkreuz und ich war mit den Gedanken mitten auf der Flucht. Zwei volle Brüste pressten sich gegen mich, ihr Kiefer malmte wie eine Maschine die nach Öl bohrt. Schlaff und lustlos, zurückhaltend wie frei baumelte meine Zunge in ihrem Mund. Die Zeit wollte dabei nicht vergehen, wie eingefroren stampfte die Situation wütend auf der Stelle und ich besaß nicht den Mut sie zu enttäuschen.

Der Abend bestand aus Erinnerungen und Schnäpsen. Es wurde einiges geraucht und mit jeder Zigarette wurden aus Visionen gelallte Komplimente. Sie hatte Durst nach einem Mann. Mir war nach weiblicher Aufmerksamkeit und ich spielte mit ihren Annäherungsversuchen wie mit einem aufgezogenem Mobilee. Ihre Einladung schlug ich aus. Das ist Jahre her und die Margeriten blühen in einer Art und Weise das mir ganz warm ums Herz wird. Auf meinem Weg tanzen verspielte Schwalben und vertilgen in höchster Geschwindigkeit kleinste Insekten. Weit draußen auf dem goldig gelbem Feld tuckert zwischen wogenden Halmen ein Traktor älteren Modells. Der Staub des späten Abends bittet um Bedenkzeit für seine nächste Ruhestätte ... mir springt das Herz vor Glück gleich völlig entzwei.

Donnerstag, 16. Oktober 2025

RESTE.



Das kleine Mädchen wandelte im Schlaf. Der stumme Mond kramt nervös in seiner länglichen Umhängetasche und suchte sein vergoldetes Opernglas.

Die Muskeln des Mannes erhoben sich langsam und pressten sich gegen die knappen Ärmel eines synthetisch hergestellten Shirts. Es war Mai und bald würden die Schwimmbäder öffnen.

Beide große Zehen spielten übermütig mit dem Rest der Füße, während sich Peter genüsslich eine Kippe drehte und dem Tag mit einem gewissen Frohsinn entgegensah.

An der Straßenbahnhaltestelle humpelt ein Kohlrabe desorientiert zwischen stählernen Gleisen herum. Der rechte Flügel hängt in Fetzen blutig herunter.

Miranda stand stundenlang grübelnd vor dem riesigen Bücherregal. Ein geblümtes Kleid hing in ihrer Po-Ritze fest. Theodor Fontane suchte sie jedenfalls nicht.

Ein Mann mit künstlichem Strohhut zählt die Blüten seiner Rosensträucher. Aus der Küche heraus dampfen Pellkartoffeln und es duftet mehlig warm.

Vielleicht liebten sich beide schon lange so gar nicht mehr. Aber es lohnte keinerlei Mühe mehr, daran etwas zu ändern. Wie immer und ein ganzes liebes Leben lang machten sie das Beste daraus.

Im Altenheim wippen zahllose Köpfe pendelnd einer vergessenen Frage hinterher. Medikamente stehen längst verfallen in den hintersten Ecken lose befestigter Hängeschränke.

Der Weg wollte kein Ende nehmen. Sollte das Leben eine einzige Quälerei sein? Die Brunnen schienen alle ausgetrocknet und der Regen war eine viel zu stolze Diva als das er sich erweichen ließe.

Im Kühlschrank ist ein Wurst aufgeplatzt. Das vergessene Stück Hefe dünstet heftigen Schweißgeruch aus. Eine behaarte Hand langt geschickt nach zwei kalten Flaschenhälsen.

Freitag, 10. Oktober 2025

11 JAHRE.



Unter uns: Elf Jahre hinter polierten Gittern sind nicht eben schmerzfrei. Sören war exakt bei Tag 1 von 4015. Die entsprächen 44 Jahreszeiten. Um es noch genauer und unerträglicher zu formulieren: jetzt waren fünf Stunden um - und 96.355 würden noch verlangsamt, wie in Zeitlupe auf ihn zu und schließlich drüber weg schleichen. Für den jungen Mann mit der ausladenden Hasenscharte und einem verknorpelten Ohr auf der der linken Seite war das eindeutig zu lang. Ihn plagten diverse Zipperlein wie Platzangst, eine hochkomplizierte Spaltung der Persönlichkeit, kleinere Ticks sowie der ständige Drang ejakulieren zu müssen. Elf furchtbar lange Jahre isoliert wie ein Resteessen unter Folie, wie aus der Gesellschaft heraus filetiert und in die Tonne geworfen. Ihm war übel von der eigenen, halb verwesten Zukunft ... diesem Mief aus wandernden Wänden und dem beißendem Geruch seiner ständig schwitzenden Achseln.

Der Richter hatte keine Wahl. Die Geschworenen wiegten sich wie im Reigen zur fast melodisch präsentierten Beweislast ... draußen fiel der Schnee, ein paar Wildgänse nahmen leicht verspätet Reißaus - Sören waren die Hände gebunden, der Mund wie versiegelt, die feuchten Augen ohne Glanz und seine hoffnungslose Haltung schien wie ein zusätzliches Geständnis. Die Schwere des Verbrechens, die Indizien zur Tat, Aussage für Aussage, das hysterische Gebrüll trauernder Menschen ... all das ließ ihn förmlich erstarren. Er glaubte nicht einmal sich selbst. Seine Unschuld erschien ihm wie eine Ausrede, ein infame Lüge gegen all das Geröll der Justiz. Sören gab klein bei. So hat er es immer gehandhabt. Sein Charakter lechzte nach Harmonie und Stille. Die Ruhe auf den Sturm, der Friede unter den Menschen. So verkürzte sich der gesamte Prozess um mehrere Wochen und zur Freude des finalen Tages gab es einen festlichen Richterspruch.

Unschuldig im Knast. Und nur er allein wusste es - gemeinsam mit dem eigentlichen Täter und seinem toten Opfer. Die schmuddlige Videokassette vom Frauenknast kam ihm in den Sinn: „Sirene unter geilen Weibern“ hieß der gut einstündige Porno und verhieß ein paar gemütliche Minuten mit gekrümmten Rücken. Jetzt saß er selbst wie nackt zwischen gekalkten Wänden ohne eine Spur von Trost. Weit und breit keine Weiber und auch keine Pornos. In seiner Fantasie ging er alle Vanessas und Svetlanas noch einmal durch ... geschmeidige Frauen, lüstern, unersättlich und devot. Er glaubte ihnen alles, nahm jede Szene für bare Münze und träumte sich stundenlang in ihre fruchtigen Schöße hinein. Seine Zelle lag vor ihm wie ein offenes Maul ohne Zähne. Sein Herz rutschte schwer nach unten, wummerte ungeduldig gegen die Brust ... so, als wollte es ihm sagen: Lass mich bitte gehen!

Dienstag, 7. Oktober 2025

ZWEIFEL.



Die metallischen Körbe rasseln. Zwei ältere Damen schütteln ihre grauen Häupter. Eine leere Dose kullert unter das große Auto mit dem Stern. Der Wind treibt alles vor sich her, peitscht mit kalter Blässe die unnahbaren Gedanken durch mörderische Wucht. In einem langen schwarzen Mantel stolziert Vater Wahnsinn über den zugestellten Parkplatz und verteilt Schicksalsschläge. Es droht Ungemach - für jeden einzelnen von uns. Die Bitterstoffe des Lebens, das gänzlich Überwürzte, ein kräftiger Hieb voller Unbarmherzigkeit und ohne den Funken einer Gnade.

In einem der prall gefüllten Einkaufswagen erheben sich die Waren zu einem babylonischen Turm und die beinhaltete Süße zerschlägt alle reinen Gedanken. Lautlos weht das Flügelchen einer toten Meise mal hier und mal dorthin, zaghaft wie bescheiden und um keinerlei Aufmerksamkeit bemüht. Auf einem verloren gegangenen Einkaufszettel verwischen die Einträge durch aufkommenden Regen. Die Butter löst sich auf.
Hinter einem abrissreifen Schuppen kniet der Meister Tod und strickt in dieser unbequemen Haltung an einem langen schwarzem Schal. Fast schon bescheiden wirkt die Szenerie. Er bleibt unbemerkt. An den Kassen saugen müde Verkäuferinnen an ihren stillen Wassern und knaupeln den Lack von Fingernägeln. Es bleibt nicht mehr viel übrig vom Tag - die Reste des Glücks schwimmen in einer gut verschlossenen Schnapsflasche und gieren nach den Sehnsüchten der Menschenkinder.

Auf die Zeit ist kein Verlass mehr. Alle Garantien scheinen aufgebraucht. Im steten Wechsel aus Licht und Dunkel entwischen Glaube wie Hoffnung. Der OP- Schwester wird alles zu viel und zu allem Unglück fingert sie die letzte Zigarette aus einer bereits zerknautschten Umverpackung. Das Elend ist ein SUV. Die Schicht beginnt ja gerade erst. Zögerlich interveniert sie beim behandelnden Chefarzt: „Sind sie sich sicher?“

Samstag, 4. Oktober 2025

KEINE BEWEGUNG.



Still jetzt! Regen fällt in feinen Linien und ich möchte das du schweigst. Das du Ruhe gibst und alle Farben verblassen. Es ist zu viel von allem da und der Moment zum Innehalten scheint verpasst. Verdammtes Begehren! Mach bitte keinen Wind! Lass alles an seinem angestammten Platz und begib dich hinaus ... in die weite Welt und such dort weiter nach den Erfüllungen. Ich für meinen Teil erstarre und höre einfach weg. Schließe meine Augen und erhebe meine Hände. Ergebe mich. In den Schräglagen des Lebens kommt alles ins Rutschen - die Tiere des Waldes stellen sich tot. Wir können lernen und begreifen. Mehr nicht. Im Kosmos nur ein einzelner Punkt der sich nicht bewegt. 

Dienstag, 30. September 2025

ALTE MENSCHEN.



Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, denen die Zeit mit ihrer Großzügigkeit und Gnade entgegenkam. Die kleinen Augen blinken und blitzen noch immer lebendig und mit einem milden Blick durch den langen Gang des Zugabteils. Ein goldener Siegelring steckt umwachsen von weicher Haut an seinem dafür vorgesehenen Finger. Schwarze, schuppige Schiebermütze - eine ausladende Jacke aus künstlichem Leder, olivenfarbige Cordhose sowie der frisch-herbe Geruch von brennendem Rasierwasser sind weitere Kennzeichen. Sein Leben liegt vor mir wie eine eichene, gut verschlossene Truhe. Oder aber eine tief ausgehobene Fallgrube. Wir kennen die Menschen als solche - im Einzelnen bleiben Sie mir jedoch immer ein Rätsel. Das scheint mir auch keine völlig neue Erkenntnis - im Gegenteil: Banales bleibt banal. Es gehört nur eben als solches an seinen angestammten Platz und nicht in ein pathetisches Durcheinander. So bleibt alles in seiner Ordnung und mit ihr fühle ich mich sicher. Von der Geburt hinüber ins Altern, aus dem Kreißsaal heraus katapultiert um sich Jahre später in die Hände pflegender Kettenraucher zu geben. Am Anfang wie am Ende verstummt unser Wille. Oder er wird schlichtweg überhört.

Ein Militär-Psychologe umriss seine seelsorgerischen Künste einmal damit, seinem Klienten folgende Realität zu präsentieren: "Sie werden ein Krüppel bleiben, finden sie sich damit ab"!
Das Mädchen vor mir ist kaum zwanzig Jahre jung. Lange Rastas schlängeln sich aus einer weinroten, wollenen Street-Work-Mütze. Seeblaue, große Augen leuchten wie aus einem klaren Himmel heraus. Das Buch in ihren Händen trägt den Titel "Horror-Stories" und ist gut vier Zentimeter dick. Nebenbei beißt Sie kraftvoll-energisch in einen frühreifen, sattgrünen Apfel.

Mittwoch um 7:44 Uhr. Zwischen den Sitzen ist kein Platz. Breite Ärsche formieren sich, berühren einander und ungeniert dringt das Gefühl intensiver Nähe von Mensch zu Mensch. Es knistert Aluminiumfolie, der Geruch von Banane zementiert die Geruchssinne - es ist Berufsverkehr und nie werden sich fremde Frauen wie Männer näher sein. Die Leberwurst-Schnitte ist mit vier kräftige Bissen verschlungen worden.

Der Morgen hält die üblichen Augenringe bereit. Alte Menschen sehen sich madig und überhaupt in einem seltsamen, fahlem Licht. Um diese Zeit gibt es wenige ganz alte Menschen hier. Vermutlich quälen sich diese gerade aus ihren Steppdecken oder schlurfen durch einen kalten Flur in Richtung Toilette. Mein Großvater hackte früher immer das Holz - noch vor dem Morgengrauen. Später feuerte er den Ofen an, setzte Kaffee auf und raschelte mit der Tageszeitung. Eine mühsame, gute Zeit. Die Finger fast blau vor Kälte, rauchender Atem, kleine Tränen in den Augen. Essenzielle Tage ... wie massiv gezimmert für eine sentimentale Kindheitserinnerung.

Es scheint, als ginge es mit einem U-Boot in die unendliche Tiefe hinab. Stille und Leere überall - einzig das leise Rotieren der Motoren sowie der leichte Trommelwirbel unserer Herzen künden vom Leben. Die Zeit, also jene die uns bleibt, geht in einem ganz unterschiedlichen Tempo vornweg. Alte Menschen (damit schließe ich diesen Text) sollten bestenfalls und aus ganz natürlichen Beweggründen des Lebens müde sein. Dann hat alles seinen Platz.

Freitag, 26. September 2025

LIEBE UND SO WEITER.



Peter saß aufrecht an der Bar. Das kam selten vor. Peter teilte sich sowohl das Bier als auch den Schnaps diszipliniert ein. Das hatte einen guten Grund. Er war verliebt. In die fast gleichaltrige Frau neben ihm. Sie saß ebenfalls aufrecht. Es gab gegenseitige Bekundungen von Interesse. Wie es der Zufall wollte, hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Sie war toll. Vor allem immer dann, wenn sie traurige Kindheitserinnerungen schilderte. Dann bekamen ihre Augen einen bemitleidenswerten Glanz und Peter fand das hübsch. Der Wirt nickte ihm immer wieder aufmunternd zu. Es waren nicht mehr viele im Gastraum. Die Gespräche drehten sich um Vergangenheit und die Bewältigung des Alltages. Irgendwann berührte sie vorsichtig seine Hand. Dieser Kontakt blieb dauerhaft bestehen und Peter konnte die kommenden Biere und Schnäpse nur noch einhändig zu sich nehmen. Ihr ging es genau so. Aber das war jetzt unwichtig geworden. Wenn man sich frisch verliebt hat, dann wird einem angenehm mulmig und es kitzelt irgendetwas in der Magengrube. Davon berichten auch viele Schlagerhits übereinstimmend. So ging der Abend dahin und glitt hinüber in eine aufregende Nacht. Sie saßen noch immer am Tresen auf ihren hohen Hockern. Viele Biere und viele Schnäpse waren gekommen und gegangen. Peter war sich nicht mehr so sicher. Seine Haltung wurde etwas lasch. Die Frau neben ihm himmelte ihn an. Sie plante bereits kommende Stunden des lustvollen Miteinanders. Sie streichelte seinen runden Rücken. Der erste Kuss stand im Raum. Die letzten Gäste gingen. Aus dem Radio dudelte Lionel Richie. Zufälle gibt es. Es wurde heiß und Peter saß plötzlich in einer Art Falle. Das Leben hat einmal mehr an Kompliziertheit zugenommen. Zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Zuviel des Guten. Die Liebe war plötzlich wie eine gierige Krake. Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte gehen. Sie verstand das als den auffordernden Rest. Vor der Bar im Morgennebel hielt sie ihn fest. Ihre Zunge schob sich drängend in seinen Mund und fuhrwerkte darin herum. Schwindel überkam den Peter. Er musste gehen. Sofort und endgültig. Wie zur Entschuldigung drückte er noch einmal an ihrem Mantel und den darunter verborgenen Brüsten herum. Dann rannte er los. Als ginge es um Leben und Tod.

Die Straßenlaternen flogen an ihm vorbei. Er suchte schnellstmöglich das Weite. Peter war in Sachen Liebe schon immer ein Hasenfuß. Ganz nah bis ans Feuer - aber daran verbrennen? Nein. Er möchte dieser Frau nicht noch einmal begegnen. Zu viele Verbindlichkeiten und Versprechungen standen im Raum. Liebe fühlte sich anfangs stets großartig an. Dann öffneten sich jedoch immer Regelwerke. Die üblichen Abläufe. Das ewige Spiel mit dem stets unsicheren Ausgang. Peter wuchs das auf Dauer über den Kopf. Er saß jetzt am Ufer des Stadtkanals und stierte mit verquollenen Augen auf treibendes Holz. Dieser Anblick sorgte für etwas Ruhe in seinem schmerzenden Schädel. Müdigkeit befiel ihn. Die Frau tat ihm leid. Er kam sich vor wie ein Zechpreller. Ein richtiger feiger Lappen. So war das mit ihm. Ein Leben lang Katz und Maus. Nichts wurde konkret. Ein flacher Stein verließ die Umklammerung seiner rechten Hand und flog zitternd durch den Dunst der Frühe. Auf der Wasseroberfläche zogen Linien lauter wandernde Kreise. Das würde sich wieder beruhigen. Dafür lag der Stein jetzt für immer auf dem dunklen Grund. Wie seltsam sich all das anfühlte. Eigentlich war alles was er tat banal. Die großen Kriege führten andere. Er grübelte zu viel. Aber das führte ja letztlich zu nichts. Er musste jetzt die Bar für eine Weile meiden.

Dienstag, 23. September 2025

DIE WIEDERHOLUNG.



Der Türrahmen hält mich auf. In meinem Kopf ein versteinerter Schmerz. Ein verhüllter Mensch kniet stumm im Korridor. Der Kühlschrank steht offen. Die Orientierung fällt mir schwer. Am Himmel bauschen sich orangene Wolken auf. Ein eichener Schrank stellt sich in meinen Weg. Die alten Teppiche sind in Bewegung.

Mir ist, als spalte sich mein Schädel. So als bräche man einen kräftigen Äpfel mit beiden Händen in zwei Hälften. Im Ausguss klebt geronnenes Blut. Überall die halb gelesenen Bücher ... Als die Sirene zu dröhnen beginnt, lege ich mich flach auf die kalten Fliesen des Badezimmers.

Eingeklemmt zwischen zwei muskulösen Schenkeln die frisch gewaschene Bettdecke. Mein Körper seitlich zur Wand. Ein Schlaf in unendlicher Tiefe, lange Aussetzer beim Atmen. Ein leichter Wind streicht den behaarten Rücken. Zwei Fliegen wandeln über die matten Schulterblätter hin und her. Ein Traum aus Beton und Zuckerwatte, scharfen Säbeln und saftigen Küssen, prallen Brüsten und ausgefallenen Zähnen ... unbeweglich liegt der Mensch. Ich bin es nicht. Du bist es nicht. Niemand ist gemeint.

Jetzt ist wieder alles dunkel. Die Wiederholung fängt an. Gleiche Zeit, gleicher Ort. Mein Herz verfärbt sich schwarz. Die Musik ist aus. Andächtig schweigen die Bäume. Ein gleichmäßig verlaufender Nebel zieht heran und verschlingt die Konturen eines Alptraumes. Wieder knalle ich zuerst gegen den Türrahmen. Danach verliere ich das Gleichgewicht und etwas später meine Stimme. Die Innenseite des Kühlschrankes offenbart verheißende Wirkstoffe. Nichts hilft. Das weiß ich. Mein Blick sucht das Zimmer ab. Es ist Zeit zu gehen obwohl ich bleiben möchte. Gott hat sein Schwert an beiden Seiten frisch geschliffen und schwingt es ohne Widerstand durch die schwülen Lüfte.