"Die saufen, bis es denen aus den Ohren wieder raus schwappt!" Ein gut gealterter Herr läuft eingehängt mit seiner Gattin über die glänzenden Fußwege der bereits abgedunkelten Stadt. Missbilligend fällt sein Blick auf zwei unrasierte Trinker an einem schlecht ausgeleuchteten Eck-Imbiss. Es gefällt ihm nicht, wenn sich die Menschen gehen lassen ... saufen, pöbeln, keinerlei Arbeit verrichten, auf den Bänken lungern, nicht grüßen, den Gehsteig zuparken, Hunde nicht an der Leine führen, die Schaltkästen besprühen, Vorgärten verrotten lassen, die Treppe nicht kehren oder wenn jugendliche Werbemittel-Austräger partout keine Wochenangebote der Discounter in die Treppenhäuser auslegen. Dann zweifelt der hagere, alternde Mann mit der gesellschaftlichen Moral und schimpft so lange, bis ihm der Magen seinen Dienst versagt und grünlich-bittere Galle durch die Speiseröhre empor steigt. Seiner vergesslich gewordenen Frau ist dies einerlei, sie geht diesen Weg mit ihm bis zum Schluss - soweit die Füße sie tragen und solange er sie noch in seinem drahtigen Arm einhenkelt.
Sonntag, 26. Oktober 2025
GIFT UND GALLE.
Freitag, 24. Oktober 2025
DOPPELLEBEN.
Im schäbigsten Café der Stadt ... mit dem gerissenen rotem Leder des Neunziger-Jahre-Mobiliars und der angetrockneten Pisse auf vergilbten WC-Brillen ... aufgespritzte Lippen bei einer 40+ Bedienung und den jämmerlich angerichteten Eisbechern aus längst erblindetem Glase ... bräunlicher Stuck gezeichnet von unlängst verbotenem Rauch aus den kräftigsten Zigaretten des Planeten ... da hob Peter ein bis zum Rand gefülltes Glas und schüttete es in sein riesiges Kopf-Loch! Soff und bestellte nach. Bestellte und soff. Soviel er konnte und es quollen ihm die einst kleinen Äugelein zu glasigen handgroßen Perlen. Seine Unterlippe konnte die Flüssigkeit kaum noch führen und so troff es immer wieder feucht auf sein burgunderrotes Hemd. Mit den Hemmungen fiel auch die Würde. Von wegen "unantastbar"! Zeit verging - und Zeit kam - bis sie wieder verschwand. Peter klammerte sich an den Drink wie der der halbtote Kapitän am Mast seines schlingernden Schiffes. Die Sache schien entschieden. Im Portemonnaie stapelten sich mächtige Scheine und boten mit ihrer Anwesenheit keinen Einhalt. Die Botox-Kellnerin legte ihre Hand mit den meterlangen wie feuerroten French-Nails auf seine müden Schultern und flüsterte liebevoll irgendwas wie "Was ist denn los mein Guter" in seine stark behaarte Ohrmuschel.
"Man müsste das Leben panieren können!"
Peter selbst schien verblüfft über seine spontane Antwort. Als ich mich zu ihm setzte, begann er darüber zu sinnieren und verfing sich ein ums andere mal zwischen Eitelkeit und Selbstmitleid. Es war ja erst 14 Uhr und wir hatten schon mächtig Verluste gemacht. Um uns herum kreisten Aperole und Schwarzwälder Kirschtörtchen mit Eierlikör. Große Busen wohin das Auge reichte! Man hätte die ganz Stadt melken können! Dümmlich blickten wir uns um und verließen uns auf die Vergangenheit. In der Toilette versuchte ich heulend alles voll zu pissen. Ein asoziale dumme Sau die ich einmal war! Worauf kam es jetzt noch an? Dabei stellte ich mir zwei Blöcke Butter vor. Und gerührtes Ei. Und Paniermehl. Vielleicht würde das wirklich helfen? Das Leben eingepackt in Panade und ab damit ins Siedende? Kirre wie ich einmal war strauchelte mein enthemmtes Wesen wieder direkt zu Peters Tisch. Mit einer langen Gerade versuchte ich seine Front zu erwischen - traf aber ins Leere und umarmte ihn stattdessen. Wir beiden waren selbstverliebt in unseren Kummer und schauten fast schon mit Stolz auf unsere Ausweglosigkeit. Schein auf Schein wirbelte auf und versengte mit all dem Schnaps und ungezählten Bieren unsere kindlichen Herzen.
Sonntag, 19. Oktober 2025
DER KUSS.
Die erste flüchtige Berührung unserer Lippen war schon unangenehm. Der nachfolgend lange, schnalzende Kuss schmeckte nicht und die mit der Zunge um sich schlagende Frau war auch die Falsche. Ihre schlanken Arme klammerten meinen Rücken direkt im Hohlkreuz und ich war mit den Gedanken mitten auf der Flucht. Zwei volle Brüste pressten sich gegen mich, ihr Kiefer malmte wie eine Maschine die nach Öl bohrt. Schlaff und lustlos, zurückhaltend wie frei baumelte meine Zunge in ihrem Mund. Die Zeit wollte dabei nicht vergehen, wie eingefroren stampfte die Situation wütend auf der Stelle und ich besaß nicht den Mut sie zu enttäuschen.
Donnerstag, 16. Oktober 2025
RESTE.
Das kleine Mädchen wandelte im Schlaf. Der stumme Mond kramt nervös in seiner länglichen Umhängetasche und suchte sein vergoldetes Opernglas.
Freitag, 10. Oktober 2025
11 JAHRE.
Unter uns: Elf Jahre hinter polierten Gittern sind nicht eben schmerzfrei. Sören war exakt bei Tag 1 von 4015. Die entsprächen 44 Jahreszeiten. Um es noch genauer und unerträglicher zu formulieren: jetzt waren fünf Stunden um - und 96.355 würden noch verlangsamt, wie in Zeitlupe auf ihn zu und schließlich drüber weg schleichen. Für den jungen Mann mit der ausladenden Hasenscharte und einem verknorpelten Ohr auf der der linken Seite war das eindeutig zu lang. Ihn plagten diverse Zipperlein wie Platzangst, eine hochkomplizierte Spaltung der Persönlichkeit, kleinere Ticks sowie der ständige Drang ejakulieren zu müssen. Elf furchtbar lange Jahre isoliert wie ein Resteessen unter Folie, wie aus der Gesellschaft heraus filetiert und in die Tonne geworfen. Ihm war übel von der eigenen, halb verwesten Zukunft ... diesem Mief aus wandernden Wänden und dem beißendem Geruch seiner ständig schwitzenden Achseln.
Dienstag, 7. Oktober 2025
ZWEIFEL.
Die metallischen Körbe rasseln. Zwei ältere Damen schütteln ihre grauen Häupter. Eine leere Dose kullert unter das große Auto mit dem Stern. Der Wind treibt alles vor sich her, peitscht mit kalter Blässe die unnahbaren Gedanken durch mörderische Wucht. In einem langen schwarzen Mantel stolziert Vater Wahnsinn über den zugestellten Parkplatz und verteilt Schicksalsschläge. Es droht Ungemach - für jeden einzelnen von uns. Die Bitterstoffe des Lebens, das gänzlich Überwürzte, ein kräftiger Hieb voller Unbarmherzigkeit und ohne den Funken einer Gnade.
Samstag, 4. Oktober 2025
KEINE BEWEGUNG.
Still jetzt! Regen fällt in feinen Linien und ich möchte das du schweigst. Das du Ruhe gibst und alle Farben verblassen. Es ist zu viel von allem da und der Moment zum Innehalten scheint verpasst. Verdammtes Begehren! Mach bitte keinen Wind! Lass alles an seinem angestammten Platz und begib dich hinaus ... in die weite Welt und such dort weiter nach den Erfüllungen. Ich für meinen Teil erstarre und höre einfach weg. Schließe meine Augen und erhebe meine Hände. Ergebe mich. In den Schräglagen des Lebens kommt alles ins Rutschen - die Tiere des Waldes stellen sich tot. Wir können lernen und begreifen. Mehr nicht. Im Kosmos nur ein einzelner Punkt der sich nicht bewegt.
Dienstag, 30. September 2025
ALTE MENSCHEN.
Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, denen die Zeit mit ihrer Großzügigkeit und Gnade entgegenkam. Die kleinen Augen blinken und blitzen noch immer lebendig und mit einem milden Blick durch den langen Gang des Zugabteils. Ein goldener Siegelring steckt umwachsen von weicher Haut an seinem dafür vorgesehenen Finger. Schwarze, schuppige Schiebermütze - eine ausladende Jacke aus künstlichem Leder, olivenfarbige Cordhose sowie der frisch-herbe Geruch von brennendem Rasierwasser sind weitere Kennzeichen. Sein Leben liegt vor mir wie eine eichene, gut verschlossene Truhe. Oder aber eine tief ausgehobene Fallgrube. Wir kennen die Menschen als solche - im Einzelnen bleiben Sie mir jedoch immer ein Rätsel. Das scheint mir auch keine völlig neue Erkenntnis - im Gegenteil: Banales bleibt banal. Es gehört nur eben als solches an seinen angestammten Platz und nicht in ein pathetisches Durcheinander. So bleibt alles in seiner Ordnung und mit ihr fühle ich mich sicher. Von der Geburt hinüber ins Altern, aus dem Kreißsaal heraus katapultiert um sich Jahre später in die Hände pflegender Kettenraucher zu geben. Am Anfang wie am Ende verstummt unser Wille. Oder er wird schlichtweg überhört.
Freitag, 26. September 2025
LIEBE UND SO WEITER.
Peter saß aufrecht an der Bar. Das kam selten vor. Peter teilte sich sowohl das Bier als auch den Schnaps diszipliniert ein. Das hatte einen guten Grund. Er war verliebt. In die fast gleichaltrige Frau neben ihm. Sie saß ebenfalls aufrecht. Es gab gegenseitige Bekundungen von Interesse. Wie es der Zufall wollte, hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Sie war toll. Vor allem immer dann, wenn sie traurige Kindheitserinnerungen schilderte. Dann bekamen ihre Augen einen bemitleidenswerten Glanz und Peter fand das hübsch. Der Wirt nickte ihm immer wieder aufmunternd zu. Es waren nicht mehr viele im Gastraum. Die Gespräche drehten sich um Vergangenheit und die Bewältigung des Alltages. Irgendwann berührte sie vorsichtig seine Hand. Dieser Kontakt blieb dauerhaft bestehen und Peter konnte die kommenden Biere und Schnäpse nur noch einhändig zu sich nehmen. Ihr ging es genau so. Aber das war jetzt unwichtig geworden. Wenn man sich frisch verliebt hat, dann wird einem angenehm mulmig und es kitzelt irgendetwas in der Magengrube. Davon berichten auch viele Schlagerhits übereinstimmend. So ging der Abend dahin und glitt hinüber in eine aufregende Nacht. Sie saßen noch immer am Tresen auf ihren hohen Hockern. Viele Biere und viele Schnäpse waren gekommen und gegangen. Peter war sich nicht mehr so sicher. Seine Haltung wurde etwas lasch. Die Frau neben ihm himmelte ihn an. Sie plante bereits kommende Stunden des lustvollen Miteinanders. Sie streichelte seinen runden Rücken. Der erste Kuss stand im Raum. Die letzten Gäste gingen. Aus dem Radio dudelte Lionel Richie. Zufälle gibt es. Es wurde heiß und Peter saß plötzlich in einer Art Falle. Das Leben hat einmal mehr an Kompliziertheit zugenommen. Zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Zuviel des Guten. Die Liebe war plötzlich wie eine gierige Krake. Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte gehen. Sie verstand das als den auffordernden Rest. Vor der Bar im Morgennebel hielt sie ihn fest. Ihre Zunge schob sich drängend in seinen Mund und fuhrwerkte darin herum. Schwindel überkam den Peter. Er musste gehen. Sofort und endgültig. Wie zur Entschuldigung drückte er noch einmal an ihrem Mantel und den darunter verborgenen Brüsten herum. Dann rannte er los. Als ginge es um Leben und Tod.
Dienstag, 23. September 2025
DIE WIEDERHOLUNG.
Der Türrahmen hält mich auf. In meinem Kopf ein versteinerter Schmerz. Ein verhüllter Mensch kniet stumm im Korridor. Der Kühlschrank steht offen. Die Orientierung fällt mir schwer. Am Himmel bauschen sich orangene Wolken auf. Ein eichener Schrank stellt sich in meinen Weg. Die alten Teppiche sind in Bewegung.
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In die aller größte Stille hinein, ins unbegreiflich Stumme, scheinbar ohne jegliche Bewegung und letztlich wie vakuumverpackt ... lärmt ein...
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Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, ...
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Der Film hat mich wirklich sehr berührt. Es flossen Tränen auf meine klebrigen Hände (Popcorn!). So schnell konnte man mich berühren! Das st...









